Das Haus Gottes (Der Turm) – Tarotkarte Nr 16 . Bedeutung

Manuel GarManuel G | 13. April 2021

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Das Haus Gottes, auch bekannt als der vom Blitz getroffene Turm, ist ein einzigartiger Ausdruck mittelalterlichen Symbolismus. Wenn die zusammenbrechende Struktur das Heilige Römische Reich darstellte, das manchmal auch als der »stolze Turm« bezeichnet wurde, könnte die Karte als eine Illustration der populären Untergrundprophezeiung des Niedergangs dieses Weltreiches angesehen werden. Man behauptete, daß der Antichrist solange nicht erscheinen könne, wie das Reich bestehe. Die Zerstörung des Imperiums wäre also demzufolge ein erstes Symbol für den kommenden Tag des Jüngsten Gerichts (Weltuntergangs). Wenn also die Karte eine solche Prophezeiung beinhaltete, dann wären die beiden vom Turm fallenden Gestalten der Herrscher und der Papst: die Verbindung von Kirche und weltlicher Macht.

Das gleiche Bild findet sich unter den Bildhauerarbeiten in der Kathedrale von Reims und könnte von der Hand häretischer Freimaurer stammen. Wie auch viele Jugendliche heute liebten die Mitglieder der Renaissance-Gemeinschaften versteckte Zeichen und okkulte Aussagen, die »durch ihre Sichtbarkeit verborgen waren«. Häufig genug hatten sie gute Gründe, ihre Glaubensbekenntnisse in einem Dschungel esoterischer Symbolik zu verbergen; zumal in einer Zeit, in der der falsche Glauben sehr wohl zur Folterkammer und auf den Scheiterhaufen führen konnte.

Aber die 16. Trumpfkarte enthielt noch eine umfassendere Bedeutung. Sowohl der Blitz als auch der Turm waren uralte Symbole für den phallischen Gott, den Himmelsvater der antiken Welt, der im Christentum zum Teufel wurde. Der Blitzstrahl war einstmals der phallische Dreizack Shivas; der Dreizack stand für dessen sexueller Vereinigung mit der dreifachen Kali. Er bedeutete auch das männliche >Juwel<, das vom weiblichen >Lotus< umschlungen war.

Der Dreizack wurde übernommen von Zeus, Neptun, Pluto, Jupiter, Hades, Poseidon und anderen antiken Göttern und auch von deren mittelalterlicher Inkarnation, dem christlichen Teufel. Eine andere Bezeichnung für den Tarottrumpf lautete »Feuer vom Himmel« und deutet auf die alte Glaubensvorstellung hin, bei der der himmlische Vater als Blitzstrahl hinabkam, um den unterirdischen Schoß zu befruchten, während das Blut aller lebenden Wesen aus weiblichen Wassern durch sein Feuer erwärmt und gerötet wurde. Wie der 'flammende Lingam< des Gottes in der wässrigen Yoni der Mutter erlosch, so »starb« auch der Blitz im Meer und erneuerte sich wie jeder sterbende und auf erstandene Gott.

Es ist offensichtlich, daß die gnostischen Luziferverehrer das zweite Erscheinen des gleichen Lichtbringers erwarteten, der das Licht der Erkenntnis den ersten Eltern der Menschheit brachte. Wie auch die frühen manichäischen Gruppen, glaubten die mittelalterlichen Luziferanhänger, ihre Welt wäre beherrscht von einer bösen Gottheit, deren Kirche die Massen in Sklaverei und Unterdrückung halte. In den Schriften von Mani, dem Gründer der Sekte, heißt es: »Es ist der Prinz der Dunkelheit, der mit Moses, den Juden und deren Priester sprach... Die Christen begehen den gleichen Fehler, wenn sie diesen Gott verehren, denn er führt sie in die Irre.. Er war nicht der Gott der Wahrheit.«

Asiatische Philosophen sagen, daß die plötzliche Erleuchtung der Wahrheit wie ein »Blitzstrahl aus heiterem Himmel« komme und alle Falschheit sofort zerstöre. Das Symbol eines Gottes (oder Teufels), der abrupt vom Himmel herabstößt, bedeutet häufig die Befruchtung (Inspiration) des Intellekts.

In diesem Bild gab es eine interessante Doppelsymbolik. Der >stolze Turm< war wiederum ein Phallus und stand für Gottes Sein auf Erden: die Obelisken, Tempelsäulen, Hermessäulen, Kreuze, heiligen Bäume, Glockentürme, Zwiebeltürme und alle anderen »Erektionen« verkörperten dessen männlichen, zeugungskräftigen Geist; manchmal war diese Sache eindeutiger, manchmal versteckter. Der biblische Gott selbst wurde als »hoher Turm« (2.Samuel 22,3) bezeichnet. Der Blitz, der in den Turm einschlägt, stand für den Gott der Zukunft, der den Gott der Vergangenheit vernichtete: ein klassisches Ödipusdrama in Methapherform. Es ist bedeutsam, daß das erste Erscheinen des Lichtgeistes in der Bibel auch als »Sohn Gottes« (Hiob 1,6) bezeichnet wird.

Obwohl die phallischen Bedeutungsinhalte von den christlichen Gelehrten übertüncht wurden, weil sie diese angeblich nicht verstanden, so gab man dennoch freimütig zu, daß der Blitz mit dem »lichtbringenden« Luzifer oder Satan identisch war. Man konnte diese Tatsache nicht ableugnen, denn selbst Jesus bezeugte dies im Lukasevangelium (10,18). Als »Herr über die Macht der Winde« so glaubte man, würde Satan seine zerstörenden Blitze auf die Kirchentürme lenken. Im Jahre 1783 klagten Bischöfe darüber, daß in den vorherigen dreißig Jahren der Blitz des Teufels allein in Deutschland 400 Kirchen beschädigt und 120 Glöckner getötet habe. Anscheinend konnten auch die Gegenmittel der Kirchen wie Glockengeläute, Gebete, Verspritzen heiligen Wassers, Nachtwachen und Prozessionen rund um die Kirchen während des Sturms nichts dagegen ausrichten.

Das Phänomen erwies sich vom theologischen Standpunkt aus als sehr peinlich. Warum war Gott nicht in der Lage, seine Kirchen vor den Blitzen des Teufels zu beschützen? Natürlich flüsterten sich die Ketzer zu, die Kirchen gehörten einem falschen Gott, den der Fluch des wahren Gottes treffen mußte. In gewisser Weise konnte man diese ketzerische Vorstellung bestätigen, denn bis zum heutigen Tag wird jeder Schaden durch Blitzschlag vom Recht als »höhere Gewalt« bezeichnet. Aber niemand erklärte das Phänomen, warum Gott seine eigenen Gotteshäuser angriff.

Der Blitz schlug also weiterhin in Kirchentürme ein, solange, bis der total ungläubige Benjamin Franklin den Blitzableiter erfand. Und selbst dann widersetzten sich viele kirchliche Autoritäten noch lange Zeit dieser »ungöttlichen« Lösung.

Unter den merkwürdigeren kirchlichen Vorstellungen darüber, wie man den Blitzschlag abwenden könne, gab es den Glauben, daß Glocken, die den Namen der hl. Barbara trugen, den Blitz von deren Glockentürme fernhalte. In deren christlicher Legende wird behauptet, die »jungfräuliche Märtyrerin« Barbara wäre in einem Turm von ihrem bösen heidnischen Vater, der den christlichen Glauben verabscheute, gefoltert und getötet worden. Gott griff zu spät ein, als er den Mann mit einem vergeltendem Blitzschlag traf und ihn zu Asche verbrannte, um ihn zu strafen. Aus diesem Ereigniszusammenhang schloß man, daß die hl. Barbara den Blitz kontrollieren könne.

Leider entdeckte man später, daß die hl. Barbara gar keine Heilige, sondern die »barbarische« Göttin des Runden Berges in der Nähe von Pozzuoli war. Wie viele andere magische Berge überall in Europa war auch dieser einer der Eingänge zum unterirdischen heidnischen Paradies des Feenlandes. Im Bergesinneren hausten die heidnischen Toten, welche von den Kirchenvätern als »verhexte Männer und Frauen« geschildert wurden, die »ihre Zeit mit Tanz und Hurerei bis zum Jüngsten Gericht verbrachten.« Früher war an dieser Stelle ein heiliger Omphalos mit einem Turm in der Mitte, der den Blitz anziehen sollte; dies stellte man sich als die Vereinigung des himmlischen Gottes mit der erdhaften Göttin vor.

Es ist möglich, daß der Bildgehalt der Tarotkarte geprägt war von den Erinnerungen an solche alten Kultstätten, die von den Griechen als

Orte des Kommens« bezeichnet wurden. Es war ein weitverbreiteter Glaube, daß das zweite Kommen des Lichtgottes den Schoß der Erde befruchten würde; diese Vorstellung ging ein in die Symbolik des Kessels der Erneuerung oder des Heiligen Grals und sogar in die des christlichen Taufbeckens, welches mit dem »Schoße Marias« gleichgesetzt wurde und durch eine ins Wasser getauchte Kerze befruchtet werden konnte. Ein Lichtblitz sollte in der Lage sein, die lebenden Gewässer der kosmischen Fruchtbarkeit aus den »unendlichen Tiefen« hervorzubringen und dies sowohl im spirituellen als auch im wörtlichen Sinne. Dies erklärt auch, warum einige alte Tarotblätter den Blitz zu einem belaubten oder blühenden Zweig umwandelten. Die Gewässer tauchten in der nächsten Trumpfkarte wieder auf, wo die >Nackte Göttin< abgebildet wurde, was nicht anders zu deuten war, als das Versprechen der wiedergewonnenen Schöpfungskraft.

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